Wie bleiben bei Komplettabriss und Neubau kulturhistorische Werte erhalten?
Das Amsterdamer Viertel Dichtersbuurt ist zu hundert Prozent in Wohnungsbaugesellschaftsbesitz. Es ist ein Wohnviertel mit viel Grün und zentraler Lage in der Gartenstadt „Tuinstad Slotermeer“. Die Wohngebäude im Viertel wurden in den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts erbaut und müssen erneuert werden. Aufgrund der großen Wohnungsnot in der Nachkriegszeit wurden die ursprünglich als Einfamilienhäuser konzipierten Reihenhäuser noch vor Baubeginn in zwei getrennte Wohneinheiten unterteilt. Die Wohnungen sind klein (+/- 37 m2), technisch veraltet und entsprechen nicht mehr den heutigen Anforderungen. Dichtersbuurt bietet gute Chancen für eine innerstädtische Verdichtung: Das Viertel hat eine geringe Wohndichte und ist dank seiner Lage an den Hauptstraßen Burgemeester Röellstraat und Slotermeerlaan gut erschlossen. Es liegt in einem vom niederländischen Staat ausgewiesenen und dank seines kulturhistorischer Werts wertvollen Wiederaufbaugebiet. Ein Grundsatz für die Erneuerung ist daher, die wertvollen Merkmale des Stadterweiterungsplans „Algemeen Uitbreidingsplan Amsterdam“ (AUP) zu erhalten.
Anfang des 20. Jahrhunderts war Amsterdam größtenteils verarmt. Als die Gemeinde Amsterdam 1921 mehrere (Teile von) Nachbargemeinden eingemeindete, war dies der Auslöser für Überlegungen zur Entwicklung der gesamten Stadt. Daraufhin erstellte man 1934 den Stadterweiterungsplan AUP auf Basis der städtebaulichen Prinzipen der CIAM, des Modernen Bauens. Bei dieser städtebaulichen Planung nahmen erstmals Bereiche für Entspannung und Erholung einen sehr wichtigen Platz ein. Slotermeer war die erste Gartenstadt unter den als Gartenstädte konzipierten Erweiterungen von Amsterdam in westlicher Richtung, den sogenannten „Westelijke Tuinsteden“. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs führte jedoch zu enormen Verzögerungen. Erst nach dem Krieg wurde der AUP aus den 30er-Jahren fortgeschrieben, und zwar mit dem Stadterweiterungsplan „Tuinstad Slotermeer 1952“.
Als Teil der Gartenstadt Slotermeer baute man vor circa 60 Jahren das sowohl für die Arbeiterschaft als auch für die Mittelklasse bestimmte Viertel Dichtersbuurt. Es entstand ein modernes Wohnviertel mit vielen Flachbauten, eingebettet in ein grünes Netz, das auf einem übergreifenden Grünkonzept basiert. Im Viertel Dichtersbuurt, das zu den am frühesten errichteten Vierteln der Gartenstadt gehört, kommen die städtebaulichen Prinzipien des AUP ganz klar zum Ausdruck. Es kennzeichnet sich durch viel Licht, Luft und Raum.
Klar erkennbar ist das an diesen, die räumliche Struktur des Viertels prägenden fünf Hauptmerkmalen:
1. Wiederholung
– markante, sich wiederholende Ensembles
– Einfachheit und Wiederholung in der Architektur
2. Offenheit und Sichtbarkeit
– frei zugängliche Höfe
– gute Sichtverbindungen in die Höfe dank versetzter Baulinien
3. Verknüpfte Stempelmuster
– vier Reihenhauszeilen bilden zusammen zwei Haken in L-Form
– Spezielle Ausformungen an den Ecken an Nord- und Südseite
4. Hierarchie der Grünstruktur
– Orientierung im Grün: Stadt – Viertel – Nachbarschaft – Hof
– großzügige gemeinschaftliche und öffentliche Grünbereiche
– sorgfältig mitentworfenes Grün
– ruhige, lauschige grüne Höfe
5. Klare Hierarchie in der Mobilität
– klare Hierarchie für alle Verkehrsträger
– Straße HR Holststraat dient im Viertel als verbindendes Element
Die Schwerpunkte der baulichen und sozialen Erneuerung:
1. Sehr hohe Verdichtung; alle 426 Wohnungen werden abgerissen und es entstehen 850 neue
2. Die Neubauwohnungen sind zudem im Schnitt doppelt so groß wie die abgerissenen
3. Es entstehen wieder mindestens 426 geförderte Mietwohnungen, sodass diese nicht verloren gehen
4. Neben Wohnraum entstehen auch gewerbliche und soziale Einrichtungen, die einen positiven Beitrag zur Lebensqualität im Viertel leisten und der Bewohnerschaft Chancen eröffnen
5. Breite Straßen- und Wegeprofile für viel Licht, Luft und Raum, viel Grün und eine hohe Aufenthaltsqualität
6. Die Bewohnerschaft parkt in Tiefgaragen in den Häuserblocks in der Slotermeerlaan. So wird der Verkehr in einem Randbereich abgefangen und entsteht ein verkehrsberuhigtes Viertel. Besucherparken ist am Straßenrand vorgesehen
7. Der öffentliche Raum kennzeichnet sich durch eine hierarchisch gegliederte Grünstruktur und viele Begegnungsmöglichkeiten. In der Mitte des Viertels wird ein zentraler Begegnungsort geschaffen
Verdichtung
Das Viertel Dichtersbuurt hat dank seiner guten Lage und sehr geringen Dichte ein hohes innerstädtisches Verdichtungspotenzial. Die Verdichtung bewirkt eine bessere Fassung der Burgemeester Röellstraat. Damit fungieren die Ränder als städtische Achsen und erhöhen auf der Ebene der Stadt die Urbanität.
Planung von Nutzungen im öffentlichen Raum
Im Viertel sind zwar schon viele Grünbereiche vorhanden, aber die sorgfältige Planung von Nutzungen in diesen Bereichen wird ihre Nutzbarkeit verbessern. Sowohl die Wohnungsbaugesellschaft als auch die Bewohnerschaft vermissen einen zentralen Begegnungsort.
Zeilen als städtebauliche Grundstruktur
Die in Nord-Süd-Richtung verlaufenden höheren Baukörper, die sogenannten Zeilen des städtebaulichen Entwurfs, prägen das Viertel, sorgen für eine optimale Besonnung der Höfe und Wohnungen und gewährleisten damit den Erhalt der Merkmale und Qualitäten der Gartenstadt.
Verkehrsberuhigtes Viertel
Dichtersbuurt entwickelt sich zu einem Viertel, in dem Fuß- und Radverkehr Vorrang haben. In der Bestandssituation wird seine grüne Ausstrahlung oft durch den Schleichverkehr und die vielen parkenden Autos zunichtegemacht. Die Sperrung von Bereichen für den Pkw-Verkehr, das Abfangen dieses Verkehrs in Tiefgaragen in einem Randbereich und die Reduzierung des Parkens am Straßenrand führen zu einer starken Verkehrsberuhigung im Viertel.
Dichtersbuurt Amsterdam
Für das Viertel Dichtersbuurt hat De Zwarte Hond gemeinsam mit der Gemeinde Amsterdam und der Wohnungsbaugesellschaft Eigen Haard eine städtebauliche Planung entwickelt, die letztlich Ende 2023 zu einem Investitionsbeschluss des Stadtrats von Amsterdam führte. Mit einer Verdoppelung der Anzahl der Wohneinheiten und nahezu einer Vervierfachung der Wohnfläche leistet die Planung einen Beitrag zur Bekämpfung der Wohnungsnot in Amsterdam. Dank des städtebaulichen Entwurfs wird das Wohnungsangebot im Viertel vielfältiger und entsteht ein gesünderes und angenehmeres Wohnumfeld mit höherer Wohnqualität. Der wichtigste Grundsatz ist, ein Viertel zu schaffen, das attraktiv und – sowohl in raumplanerischer als auch sozialer Hinsicht – zukunftssicher ist, das eine hohe Aufenthaltsqualität bietet und in dem Menschen gern wohnen und arbeiten. Ein vielfältiges Angebot an Wohnungstypologien bietet für alle geeigneten Wohnraum. Es gibt zum Beispiel kleine Apartments, große Wohnungen und Etagen- und Erdgeschosswohnungen für Familien. Im Geiste des Stadterweiterungsplans AUP entsteht zukunftssicherer Wohnraum unter Gewährleistung der städtebaulichen Kernwerte Licht, Luft und Raum. Zugleich wird der grüne Charakter der Gartenstadt erhalten und gestärkt. Die Intensivierung der Nutzung des öffentlichen Raums führt zu einer Belebung der Straßen. Die sozialen und gewerblichen Einrichtungen im Viertel sind auf die Bedürfnisse der Nutzer- und Bewohnerschaft abgestimmt und so geplant, dass sie kaum Störungen verursachen, sondern die Wahrnehmung des Viertels positiv beeinflussen. Die sinnvollerweise in Clustern zusammengefassten Gewerberäume und Läden sowie die qualitativ hochwertigen Spiel- und Sportmöglichkeiten beleben das Viertel.
data
- Ort
- Amsterdam, NL
- Umfang
- 7,5 ha
- Auftraggeber
- Gemeente Amsterdam en Eigen Haard
- Disziplin
- Programm
- Periode
- 2021-2023
- Status
- Themen